Es ist später Abend, als der Kanzler vor die Kameras tritt. Er wirkt entschlossen, liest eine vorbereitete Rede ab. Er hätte das den „Mitbürgerinnen und Mitbürgern gern erspart“, sagt Olaf Scholz.
Er meint den Rauswurf von Christian Lindner, FDP-Chef und Finanzminister. Der, so Scholz, habe zu oft sein Vertrauen gebrochen. Die Schlammschlacht ist eröffnet, denn kurz danach tritt Lindner mit seiner Version vor die Presse. Der Kanzler, so sein Vorwurf, habe den Bruch kalkuliert.
Wissing: „Chance fahrlässig nicht genutzt“
Volker Wissing hat diesen Abend miterlebt. Der Verkehrsminister saß im Koalitionsausschuss und ihm war klar, dass das sehr wahrscheinlich das Ende der Regierung ist. Auch öffentlich hatte er seine FDP vor so einem Schritt gewarnt. Er blieb nach dem Bruch in der Regierung und trat aus seiner Partei aus.
Heute sagt er im Gespräch mit dem ARD-Hauptstadtstudio: „Diejenigen, die die Ampel von innen angegriffen haben, haben unsere Demokratie ärmer gemacht.“
Wissing ist fest davon überzeugt, dass mit der Ampel eine Koalition gewählt wurde, die unterschiedliche Lager verbindet und Brücken baut. „Dazu hat die Ampel eine sehr große Chance geboten. Und diese Chance wurde fahrlässig nicht genutzt.“ Denn viele seien heute der Überzeugung, „Politik bestehe darin, dass ein Teil der Bevölkerung den anderen Teil besiegt“.
Lemke: FDP wollte, dass Ampel scheitert
Steffi Lemke war Umweltministerin in der Ampel. Die Grüne gehörte zu den Leisen in der Koalition, sie hat sich nicht am Streit beteiligt. Für sie ist klar: Die FDP wollte, dass die Ampel scheitert. Die habe über Monate lang jedes Gesetz blockiert. „Nicht aus politischem Dissens heraus, sondern aus Prinzip“, sagt Lemke.
Sie kann das nicht verstehen und begründet das im Interview mit dem ARD-Hauptstadtstudio auch mit ihrer ostdeutschen Herkunft und der friedlichen Revolution: „Eine Regierungsbeteiligung von innen heraus aus Prinzip zu zerstören, um des kleinen persönlichen Vorteils Willens, das klafft so weit mit meinem Verständnis von politischer Verantwortung auseinander, dass ich das bis heute nicht wirklich nachvollziehen kann.“
Laschet: SPD störte Habecks Beliebtheit
Armin Laschet saß an diesem 6. November 2024 im Talkshow-Studio und kam kaum zu Wort. Der CDU-Außenpolitiker sollte über Donald Trump sprechen, der die Wahl in den USA gewonnen hatte. Doch das interessierte kaum noch. Jetzt ging es um die Krise in Deutschland, den Bruch der Ampel.
Dass es so kommen würde, sei zuletzt absehbar gewesen – sagt auch Laschet. Aber musste es sein? Hier sagt der frühere Kanzlerkandidat: Nein. „Zu einem guten Stil der Regierungsführung gehört es, dass man miteinander kommuniziert und dass man jedem Koalitionspartner Punkte gönnt.“
Seine Analyse: Die SPD habe sich am Anfang über gute Umfragewerte von Vizekanzler Robert Habeck von den Grünen geärgert und sich dann gefreut, als dem das Heizungsgesetz misslang. So wachse kein Vertrauen.
Laschet sagt, der Job der Opposition sei es, sich zu freuen, wenn eine Regierung torkelt. „Aber die Regierungspartner, selbst wenn sie große Gegensätze haben, müssen immer den Willen haben, am Ende zu guten Ergebnissen zu kommen, die auch alle nutzen.“ Bei der heutigen Regierung aus CDU und SPD sieht er in der Hinsicht ebenfalls noch Luft nach oben.
Aufmerksamkeit und Profilierung als politische Währung?
Ähnlich sieht das die Politikwissenschaftlerin Sabine Kropp von der Freien Universität Berlin. Sie sagt, dass auch das Ansehen der neuen Regierung etwas ramponiert sei. Dazu „tragen auch immer wieder die markigen Ankündigungen unter anderem des Bundeskanzlers, aber auch anderer Akteure bei.“
Im Großen und Ganzen sei es komplizierter geworden als früher, „denn jede Politikerin und jeder Politiker kann die eigene Klientel in Sekundenschnelle bedienen. Ein Stichwort ist hier Social Media“, sagt Kropp. Ihr Eindruck: Die eigentliche politische Währung sei inzwischen die Aufmerksamkeit und die öffentliche Profilierung geworden. „Das aber wiederum steht in einem Spannungsverhältnis zur Vertraulichkeit.“
„Das passiert nicht aus Versehen“
Lemke, die frühere grüne Umweltministerin, sagt, die heutigen Probleme seien kein Zufall. Die Akteure seien alle lange genug im Geschäft, um genau zu wissen, was sie tun. „Das sind alles keine Fehler, das passiert nicht aus Versehen, sondern das ist bewusst und das kann man selbstverständlich unterlassen und sollte man auch.“
Auch der ehemalige Verkehrsminister Volker Wissing fühlt sich heute in Teilen an die Ampel erinnert. Die Gründe seien wohl die Gleichen: „Die Vorstellung, Politik bestehe darin, dass eine Mehrheit quasi eine Minderheit zurückdrängt, ist ein Bild, das nicht sehr konstruktiv ist.“
Was bleibt von der Ampel? Sie hat gezeigt, Regieren ist schwieriger geworden. Und es sieht nicht danach aus, dass sich das so schnell wieder ändert.