Es ist 23 Uhr abends. Nach einem langen Tag im Brüsseler Ratsgebäude ist der Bundeskanzler noch zu Späßen aufgelegt. Friedrich Merz bedankt sich bei den Journalisten, die bis zu dieser „unerwartet frühen Stunde“ ausgeharrt hätten und spricht von einem „sehr produktiven Europäischen Rat“.
Ukraine, Gazastreifen, die Verteidigungs- und Wettbewerbsfähigkeit der EU, ein Mindestalter, um Social-Media-Plattformen zu nutzen, der digitale Euro: Verantwortlich für die pickepackevolle Tagesordnung war Ratspräsident António Costa. Er sagt selbst: „Anfang des Monats habe ich beim informellen Treffen in Kopenhagen gesagt, dass heute der Tag der Entscheidungen ist. Und wir liefern an allen Fronten.“
Breite Unterstützung für Ukraine
Am Morgen hatte Costa noch den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj als Gast begrüßt, der bald zur europäischen Familie gehören werde. Europa werde der Ukraine weiter Waffen liefern. Das 19. Sanktionspaket gegen Russland wurde auf den Weg gebracht. Dazu zählt ein Stopp der Einfuhr von russischem Flüssigerdgas. Überraschenderweise werden die EU-Sanktionen aus Washington flankiert, denn die US-Regierung unter Präsident Donald Trump sanktioniert nun auch die zwei größten russischen Ölfirmen.
Ein weiterer Erfolg laut Costa: „Die europäischen Anführer haben sich geeinigt, dass der Finanzbedarf der Ukraine für die kommenden zwei Jahre gedeckt wird.“
Belgien sperrt sich gegen Freigabe russischer Vermögen
Allerdings ist die Formulierung in der Abschlusserklärung des Gipfels weitaus defensiver als vorher angenommen. Ursprünglich wollten einige Staats- und Regierungschefs der Europäischen Kommission einen klaren Auftrag geben. Und zwar, dass diese einen Plan ausarbeitet, wie das beim Zentralverwahrer Euroclear liegende russische Staatsvermögen in Höhe von 140 Milliarden Euro der Ukraine zur Verfügung gestellt werden kann.
Nun steht da, dass die Kommission eingeladen werde, Möglichkeiten für die finanzielle Unterstützung der Ukraine vorzustellen. Das hat vor allem mit dem starken Widerstand Belgiens zu tun, denn Euroclear hat seinen Sitz in Brüssel. Das Land will am liebsten von allen Mitgliedsstaaten Garantien einholen, dass es bei rechtlichen Streitigkeiten nicht alleine haftet.
Der Bundeskanzler hat dafür Verständnis. „Wenn ich der belgische Ministerpräsident wäre, ich hätte dieselben Argumente vorgetragen“, sagt Merz. Außerdem habe niemand ein Veto gegen die Nutzung der russischen Vermögenswerte eingelegt.
Beim Thema Wettbewerbsfähigkeit herrschte dagegen große Einigkeit. Bürokratie soll zurückgedreht werden, in allen Mitgliedsstaaten. Auch bei den Klimavorschriften sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen mehr Spielraum zu.
Missverständnis um Mercusor-Abkommen?
Und dann verkündete Merz noch eine Überraschung: Der Weg für das Handelsabkommen mit den südamerikanischen Mercosur-Staaten sei frei. „Das ist erledigt, das ist durch“, so der Bundeskanzler. Auch auf Nachfrage hält er an der Aussage fest.
Doch gerade Frankreich in Gestalt von Präsident Emmanuel Macron scheint nicht genau zu wissen, was Merz meint. Von ihm heißt es: „Unsere Position ist klar: Die Arbeit geht weiter. Aber ich bedanke mich bei der Kommission, die sich an die Versprechen hält, die sie uns gemacht hat.“
Insofern könnte der Kanzler da etwas missverstanden haben. Es war aber auch ein wirklich langer Tag.